Geopolitische Kooperation und Rogue Players

Die Evolution der Kooperation

Die Trump-Administration ist dabei, die internationale Ordnung kräftig durchzuschütteln. Handelskonflikte, einseitige Vertragskündigungen, rhetorische Brechstangen, militärische Drohungen – finden in aller Öffentlichkeit statt.

Und klar auch einige Stufen härter im Vergleich zur ersten Trump-Administration. Und die Reflexionen von Öffentlichkeit und Medien sind mindestens ungeübt im Umgang mit einem solchen Rogue Player.

Denn aus im Lichte unserer Öffentlichkeit ist so ein solcher Rogue Player (zunächst) ein Albtraum: unberechenbar, mit hohem Defektionsanteil (unkooperatives Handeln) und wenig Respekt für tradierte Bündnislogik. Das verursacht tiefe Verunsicherung.

Es wäre fatal anzunehmen, dass dies nicht genauso beabsichtigt wäre.

Ein exzellenter Moment, Robert Axelrods Buch, Evolution der Kooperation in die Hand zu nehmen. Axelrod liefert gerade für Rogue Player Erkenntnisse, die Europa nutzen kann und die Mut geben können.

TLDR; der Artikel zeigt, dass die traditionelle Vorstellung von stabilen geopolitischen Allianzen zunehmend von einem fluiden, opportunistischen Machtspiel abgelöst wird. Rogue Players agieren nicht einfach nur als Störfaktoren, sondern als geschickte Architekten neuer Realitäten, die Schwachstellen etablierter Ordnungen gezielt ausnutzen. Gleichzeitig macht der Artikel aber auch Mut, denn auch Rogue Playern kann man durch eine konsequente, abgetimmte strategische Antwort die Kosten ihrer Aktionen so hochtreiben, dass Sie zur Kooperation gezwungen sind.

Disclaimer: Dieser Artikel erhebt keinen Anspruch darauf, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben und er ist mit Sicherheit nicht vollständig. Er soll im Gegenteil inspirieren und an Erkenntnisse und Mechanismen erinnern, die in Zeiten von Unsicherheit, Unplanbarkeit und hoher Komplexität funktionieren.

Lektion 1: Signal vs. Noise

Gerade der öffentlichen Meinungsbildung täte die professionelle Kälte, mit der Axelrod auf Kooperation blickt, manchmal gut. So Einiges an (eigentlich einfach zu durchschauendem) Bluff, naivem Versuch oder grobem Blödsinn würde schlicht verpuffen. So Einiges an brutalem Irrsinn könnte nicht so einfach mitschwimmen oder sich hinter dem Staub der Ablenkung verstecken. 

Denn Europa ist kein elitäres Hinterzimmer in Brüssel, sondern eine chaotische Vielzahl von Akteuren, deren Aktionen einander stärken können – oder eben nicht. 

Und eine solche Resonanz der europäischen Gesellschaft könnte jede Position stärken. Sogar eine militärische.

Lektion 2: Man ist einem Rogue Player nicht hilflos ausgeliefert

Auch wenn ein Akteur unberechenbar und aggressiv agiert, ist man ihm keineswegs ohnmächtig ausgeliefert. Axelrod hat gezeigt, dass selbst bei scheinbar chaotischen Spielzügen robuste Gegenmaßnahmen / Taktiken existieren, die Ausbeutung begrenzen und langfristige Kooperation – oder zumindest erträgliche Zustände – ermöglichen. Vielleicht sogar einen nachhaltigen Vorteil generieren können.

Der entscheidende Punkt: Konsequenz. Dazu muss Europa seine 1200 Jahre alte DNA wiederbeleben: die hohe Kunst der Interdependenz (Interdependenz ist die freiwillig gewählte, wechselseitige Abhängigkeit souveräner Akteure).

Axelrods Erkenntnisse zeigen, dass selbst egoistische und unberechenbare Akteure auf (manchmal erstaunlich einfache) strukturierte Gegenstrategien reagieren müssen, weil sie sonst die Kontrolle über das Spielfeld verlieren.

Lektion 3: Tit-for-Tat

Tit-for-Tat ist eine sogenannte reziproke Strategie in der Spieltheorie und steht hier exemplarisch für eben jene in Lektion 2 erwähnten, manchmal erstaunlich einfachen strukturierten Gegenstrategien.

Die Spielräume eines Rogue Players können minimiert werden, wenn jede provokante Aktion isoliert sanktioniert wird und gleichzeitig die Tür zur Kooperation stets offen bleibt.

Meinen Kunden rate ich in vergleichbaren Situationen, dass man sich manchmal entscheiden muss, ob man Recht haben oder gewinnen möchte. Die Tür zur Kooperation offen halten bedeutet manchmal aufs Recht haben zu verzichten, das Argument herunter zu schlucken, aber dafür in der großen Auseinandersetzung gewinnen zu können.

Dieses Vorgehen dient nicht nur der Etablierung stabiler Interdependenzen, sondern kann auch ökonomische Konsequenz signalisieren.

Ob letzteres gegenüber der Trump Administration tatsächlich der finale Trigger sein wird, bleibt noch abzuwarten. Doch gerade diese Unsicherheit ist es, die dann sein Vorteil ist, wenn man auf das Phänomen Trump blickt (seine Attitüde), anstatt den Genotyp der Kooperationsaktion zu identifizieren (seine Schachzüge).

Lektion 4: Konsequenz und Komplexität

Doch die Isolierung unkooperativer Handlungen alleine reicht nicht aus – sie muss spürbare Kosten verursachen. Wer wiederholt ausbeutet, ohne ernsthafte Konsequenzen zu tragen, wird es weiter tun. Doch genau hier liegt die Herausforderung: Sanktionen müssen so gesetzt werden, dass sie nicht als bloßer Reflex, sondern als systematische und abgestimmte Antwort (viva Europa) auf spezifische Regelbrüche wahrgenommen werden.

Diese innenpolitisch sicherlich schwerzhafte Komplexität gilt es zu umarmen, wenn die wahre Eskalation oder Kapitulation vermieden werden soll.

Wirtschaftliche Gegenmaßnahmen wie Zölle, Technologiebeschränkungen oder Marktzugangshürden entfalten ihre Wirkung nur, wenn sie eben nicht wahllos eskalieren, sondern als präzise Antwort auf gezielte Defektionen gesetzt werden. 

Eine rein punitive Haltung führt in eine Sackgasse – nachsichtiges Verhalten ebenso. Die Kunst liegt darin, den Punkt zu treffen, an dem der Rogue Player kalkulieren muss: Wann kippt die Kosten-Nutzen-Rechnung gegen mich?

Momentan ist es Europa, dass sich verwundert die Augen reibt. Wenn die Trump Administration jedoch anfangen muss ununterbrochen ihre Chancen und Risiken zu rechnen, spielt die Verwirrung ins andere Tor.

Achtung: Ob dieser Punkt erreicht wird, bevor das Spielfeld zerstört wird, ist die eigentliche Unbekannte. 

Lektion 5: Vergeben statt Vergessen

Axelrods Modelle zeigen, dass überharte Strafen nicht disziplinieren, sondern dazu neigen Kooperation unmöglich machen. Wer einmal defektiert, sollte nicht automatisch verloren sein – solange eine gesichtswahrende Rückkehr möglich bleibt (Stichwort: „Rechthaben oder gewinnen“).

Geopolitik ist kein einmaliges Duell, vielmehr ein unendliches Spiel. Wer nur bestraft, aber keinen Rückweg anbietet, zerstört nicht den Gegner, sondern die eigene Verhandlungsposition. Für die EU bedeutet das: Sanktionen und Gegenmaßnahmen sind notwendig, aber sie müssen reversibel sein. Nicht als Zeichen von Nachgiebigkeit, sondern als präzises, im Zweifel formalistisches und kaltes Steuerungsinstrument, das klare Kosten setzt – und zugleich den Raum für eine geordnete Rückkehr zur Kooperation offenhält.

(Liebe Briten, wir freuen uns wieder auf Euch!)

Lektion 5a: Dies funktioniert dann, wenn es glaubwürdig ist, dass es überharte Reaktion geben könnte und dass diese auch als Prävention möglich sind. Und in vieler Menschen Ohren mag dies ganz schrecklich klingen – zu Recht, ohne Frage. Doch jetzt, wo die Alternative wieder vorstellbar wird, ist die entscheidende Frage die des Gleichgewichts.

Lektion 6: Wirtschaftliche Eigenständigkeit

Die Trump-Administration hat gezeigt, wie rücksichtslos angenommene oder echte wirtschaftliche Abhängigkeiten als Druckmittel eingesetzt werden. Strafzölle, Exportkontrollen, selektive Marktzugänge – nicht als letzte Eskalationsstufe, sondern als erstes Mittel der Wahl. Europäische Unternehmen, die sich zu stark auf einzelne Märkte oder Lieferketten stützen, werden so zu geopolitischen Spielbällen.

Die Antwort: strategische Diversifikation und Souveränität. Anstrengend, mühsam und teuer, keine Frage – aber absolut notwendig. Wer kritische Infrastrukturen und Schlüsseltechnologien in fremde Hände gibt, oder ausschließlich aus US-Cloud-Infrastrukturen bezieht, verliert  die Kontrolle über die eigene Zukunft.

Solange Europa sich selbst als bloßen Markt begreift, wird es schwer. Souveränität muss mehr sein als eine Floskel. Dazu sind wahrhaft große Investitionen notwendig. Jetzt.

Fazit: Europas Chance ist eine wirtschaftliche Chance

Wir erleben gerade, wie schnell vermeintlich feste Allianzen ins Taumeln geraten. Das Rufen im Walde erhält gerade ein brutales Echo. Europa könnte glaubwürdig sein für das Versprechen einer attraktiven Zukunft. Und dazu gehört, gerade auch angesichts weiterer Disruptionen, wie etwa die unmittelbar bevorstehende AI-Revolution, ein möglicherweise ebenfalls kurzfristiger harter Klimawandel, Freiheit.

Und Freiheit, im Sinne europäischer Werte, ruht auf einer wirtschaftlichen Säule. Ich kann mich frei bewegen, wenn ich mich auf festem Grund befinde. Dies gilt für Individuen genauso wie für Unternehmen oder ganze Gesellschaften

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